Wirtschaftsjunioren: “EU an Fehlern wachsen lassen”

TREUCHTLINGEN/WEISSENBURG – Die Europawahl und die angespannte Lage bei den Automobilzulieferern treiben auch die Weißenburger Wirtschaftsjunioren um. So sieht ihr Vorsitzender die Lage.

Nach dem Stellenabbau bei der Firma Alfmeier und der Maikundgebung in Treuchtlingen – der ersten seit einem halben Jahrhundert mit Demonstrationszug – befürchtet der Vorsitzende der Weißenburger Wirtschaftsjunioren, Stephan von Galkowski, eine wachsende Unzufriedenheit mit der EU. Im Interview mit dem Treuchtlinger Kurier bricht eine klare Lanze für ein starkes und einiges Europa.

Herr von Galkowski, der Gedanke liegt nahe, dass die Wirtschaftsjunioren die Proteste der Arbeitnehmer und Gewerkschaften eher kritisieren und für ein wirtschaftsliberales Europa plädieren. Stimmt das?

Nein. Ich freue mich, dass in Treuchtlingen demonstriert wurde und die Redner die Wichtigkeit der Europäischen Union vermittelt haben. Ich schließe mich dem DGB-Ortsvorsitzenden Willi Rupert an, wenn er sagt, dass bei der EU nachgesteuert werden muss. Dies tue ich mit der Haltung, dass man als Pionier bei neuen Projekten – und das ist die EU immer noch – Fehler zulassen, sie erkennen und daran wachsen muss. Niemand macht auf Anhieb alles richtig. Grobe Fehler der EU mit schwerwiegenden Folgen für unsere Gesellschaft kann ich aber nicht erkennen. Deshalb ist es jetzt wichtig, dass Unternehmer und Gewerkschaften mit gutem Beispiel vorangehen und bei gemeinsamen Themen keine Spaltung erzeugen, wie es die Rechtspopulisten tun.

Aber erzeugt nicht gerade die wachsende Ungleichheit Spaltung? Viele Menschen haben den Eindruck, dass die EU wirtschaftliche Interessen über soziale Aspekte stellt und die Bürger dagegen machtlos sind.

Ich glaube, man darf Unternehmensinteressen nicht als konträr zu sozialen Interessen verstehen, wie es die Gewerkschaften teils propagieren. Es gilt hier bei uns wie auch für die EU, mehr Transparenz zu schaffen und einen Gesamtblick auf alle Bedürfnisse und ihre Treiber zu entwickeln. Mir kommt bei solchen Demonstrationen ebenso wie in der allgemeinen Diskussion über Europa der Blick auf das zu kurz, was gut läuft. So sehen die Wirtschaftsjunioren in Altmühlfranken und ganz Deutschland Europa klar als Errungenschaft, die es zu wahren und weiterzuentwickeln gilt. Deshalb rufen sie auf, wählen zu gehen.

Welche Errungenschaften sind das?

Gerade in unserer Region, die ein Beispiel für die Exportnation Deutschland ist, profitieren Unternehmen aller Größen und Branchen stark vom grenzenlosen Waren- und Dienstleistungsverkehr – nicht zuletzt durch die gemeinsame Währung, die für Planungssicherheit und günstigere Refinanzierungsmöglichkeiten sorgt sowie Kurssicherungsgeschäfte hinfällig macht. Die Diskussion um den Brexit zeigt schon jetzt, welche Unsicherheiten, Kosten und Risiken deshalb schon lange kein Thema mehr sind. Der Austausch und Kontakt mit unseren Nachbarn ist für den Erfolg hiesiger Firmen unerlässlich. Und auch die Erweiterung des gesellschaftlichen Horizonts mit Blick auf Diversität und Demographie ist für das Leben in Altmühlfranken bereichernd sowie für die Ausbildung und Sicherung von Fachkräften teils unumgänglich. Das alles wäre ohne Reisefreiheit oder eine europäische Krankenversicherung nur mit erheblichem Aufwand möglich.

Aber Sie sehen auch Kritikpunkte und Verbesserungsmöglichkeiten…

Selbstverständlich. Zum Beispiel brauchen wir eine stärker gemeinsam koordinierte Außen- und Verteidigungspolitik, um entweder ein Gegengewicht oder ein starker Partner für andere große Nationen wie die USA, Kanada oder China zu sein. Oder denken wir an die oft von der Bevölkerung auf die EU zurückgeführte Bürokratie. Wir Wirtschaftsjunioren sehen diese aber nicht als Argument gegen Europa, sondern führen sie auf eine teils ungeschickte Umsetzung europäischer Forderungen auf der Ebene der Mitgliedsstaaten zurück. Viele Unternehmer mit internationalen Geschäftsbeziehungen stellen fest, dass die Prüfung von EU-Richtlinien im Alltag weniger Aufwand bedeutet, als eine Auseinandersetzung mit den unzähligen, andernfalls notwendigen nationalen Vorgaben. Als große Chance für Wirtschaft und Privatleben sehe ich mittelfristig auch die Einführung eines einheitlichen Steuersystems, das ähnliches Potenzial hätte wie die europäischen Krankenversicherung oder das europaweite Anrecht auf Rentenansprüche.

Warum nehmen dann viele Menschen nur das Negative wahr, und warum geht es mit den Reformen so zäh voran?

Es wurde versäumt, die Errungenschaften der EU zu feiern. Und die Herausforderungen, vor denen die Europäer stehen, werden als vermeintliche Nachweise für das Scheitern Europas missbraucht, statt sie als Impulse für Verbesserungen anzunehmen. Statt die EU aus diesen Gründen abzuwählen und zum bekannten Alten zurückzukehren, wäre es wichtig, dem gemeinsamen Projekt Vertrauen zu schenken und Raum zu geben, um an den notwendigen Stellen nachzusteuern.

Und wie soll das gehen?

Die Wirtschaftsjunioren rufen die Menschen in der Region auf, ihre Verantwortung wahrzunehmen und im Sinne eines starken und toleranten Europas zu wählen. Es gilt, nicht denen das Feld zu überlassen, die durch das Verbreiten von Angst und Falschinformationen die Abschottung fördern und den Rückschritt in eine handlungsunfähige Gesellschaft der nationalen Alleingänge einleiten.

AllgemeinInterview

Wirtschaftsjunioren Weißenburg e.V.